‚Friedhof – der Hof des Friedens.‘ denke ich am Tag von Loreleys Beisetzung, als ich mir meine Klamotten raussuche. Zur Bestattung von Sternenkindern hatte ich mir nie Gedanken gemacht.
Es ist der ‚Friedhof der Kuscheltiere‘ denke ich mir, als ich vor Ort bin und die Gräber der Sternenkinder sehe.
Eine große Fläche.
Bunt geschmückt mit Spielzeugen und Windmühlen.
Tanja von sternenkinder.org stellte mir dieses Mal die Frage: „Sammelgräber, Einzelgrab oder gar kein Grab für Sternenkinder?“
Das letzte Mal ging es um Obduktion von Sternenkindern, ja oder nein?
Heute will ich meinen Blickwinkel mit dir teilen.
Kleiner Exkurs zur Blickwinkelreihe
Worum geht es bei der Reihe Blickwinkel? Auf ein und dieselbe Frage, in derselben Situation, gibt es unterschiedlichste Antworten. Auch wenn sich Sterneneltern in ähnlichen Lebensumständen befinden und sie ihre Sternenkinder aus dem gleichen Grund, vielleicht sogar in der gleichen Schwangerschaftswoche verabschiedet haben: Alle machen ihre ganz eigenen Erfahrungen.
So sind die Blickwinkelartikel entstanden: Tanja Wirnitzer hat über das Thema Sternenkinder viele Eltern kennengelernt und gemerkt, so sehr sie mit vielen auf einer Wellenlänge ist, so unterschiedlich ist doch die Art und Weise, wie die Paare mit der Situation umgehen. Sie wollte mehr erfahren und die Idee der Blickwinkelartikel war geboren.
Tanja Wirnitzer lädt alle dazu ein, die eigenen Blickwinkel zu teilen. Auf www.sternenkinder.org/Blickwinkel finden sich die Themen und an tanja@sternenkinder.org sendest du deinen Beitrag. Auch Ideen für neue Blickwinkelfragen sind jederzeit herzlich willkommen.
Der letzte Ort der Ruhe
In unserer Gesellschaft ist es normal, dass tote Menschen oder auch Haustiere beweint und bestattet werden.
Die Bestattung ist eine Form des äußerlichen Abschlusses des Lebens. Die Überreste des verstorbenen Menschen oder Tiers werden am „letzten Ort der Ruhe“ gebettet.
Der Ruhestätte.

Wenn eine Familie ihr Baby vor, unter oder kurz nach der Geburt verliert, – egal in welcher Phase der Schwangerschaft – steht den Familienmitgliedern und ihren An- und Zugehörigen Trauer zu.
Möglicherweise brauchen sie einen Ort für ihre Trauer.
Sie haben auf jeden Fall die Möglichkeit, ihr Sternenkind bestatten zu lassen.
Entweder übernehmen sie die Bestattung selbst oder bei frühen Verlusten gibt es die Möglichkeit zur Sammelbestattung durch die Klinik.
„Dann hat die liebe Seele Ruh’.“ Vielleicht kennst du diesen Ausspruch.
Er passt für mich sehr gut zur Bestattung. Durch den festen Platz der Bestattung haben die noch Lebenden, die Hinterbliebenen einen Ort für ihre Trauer.
Auch Eltern, die ihr Baby in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verloren haben, dürfen ihr Kind beisetzen.
So haben auch sie die Möglichkeit, sich einen Ort zu schaffen, an den sie gehen können, um sich zu erinnern. So können auch ihre Seele und die Seele ihres Kindes Ruhe finden.
Doch welche Art der Beisetzung ist stimmig?
Erd- oder Feuerbestattung?
Und braucht es überhaupt ein Grab?
Und wenn ja, ist dann ein Einzelgrab oder ein Sammelgrab passend?
Ich kann dir sagen, dass mich diese Fragen in meiner Situation zunächst überfordert haben.
Entscheidungen treffen im Schockzustand
Wenn das Kind unerwartet stirbt oder die Entscheidung durch einen Schwangerschaftsabbruch getroffen wird, dann sind wahrscheinlich die allermeisten Eltern geschockt.
Nicht weniger schockieren und überfordernd sind in der Situation die Fragen „Wie soll ihr Kind bestattet werden? Erd- oder Feuerbestattung? Einzel- oder Gemeinschaftsgrab?“
Bei mir war das so.
‚Mach das es aufhört. Hauptsache es ist schnell vorbei.‘ war mein Gedanke.
Erd- oder Feuerbestattung konnte ich schnell entscheiden. Für mich selbst würde ich die Feuerbestattung wählen.
Aber über ein Einzel- oder Gemeinschaftsgrab hatte ich mir nie Gedanken gemacht.
Warum auch.
Es gab für mich zu dem Zeitpunkt kein Leben nach dem Schwangerschaftsabbruch.
Die Fragen kamen aber trotzdem.
Da wir uns für die Bestattung über das Krankenhaus entschieden haben, war es dann das Gemeinschaftsgrab.

Ich bin ganz froh, dass zwischen meiner Entscheidung und der Beisetzung 3 Monate lagen.
So hatte ich genug Zeit, um meine emotionalen Entscheidungen rational aufzuarbeiten, neu zu bewerten und zu korrigieren.
Im Eifer des Gefechts hatte ich entschieden, dass ich nicht zur Trauerfeier eingeladen werden wollte. Diese Entscheidung korrigierte ich eine Woche später.
Der Rest blieb, wie er war.
Bei Loreley ging das. Sie kam in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt und war 31 Zentimeter groß.
Doch wie ist das, wenn das Baby viel früher wieder die Familie verlässt?
Da stellen sich die Fragen nach Bestattung in der Form nicht.
Es ist in den seltensten Fällen ein Körper für die Bestattung vorhanden.
Oder wie ist das für Frauen, die vor vielen Jahren ihr Baby gehen lassen mussten, als es noch als „medizinischer Abfall“ entsorgt wurde?
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Kein Körper. Keine Bestattung. Keine Trauer?
Wenn ein Baby sich früh verabschiedet, dann stehen die Familien nicht nur oft vor dem Nichts.
Sie haben auch Nichts in der Hand.
Vielleicht ein Ultraschallbild.
Aber das war‘s.
Noch anders ist es bei Frauen, die z. B. in den 80er Jahren ihr Kind gehen lassen mussten.
Selbst wenn sie ihr Kind im 6. Monat verloren hatten, wurde ihnen im schlimmsten Fall noch nicht mal das Geschlecht gesagt und sie haben das Kind nie zu Gesicht bekommen.
Doch auch diese Kinder waren da.
Die Trauer ist es teilweise noch heute.
Keine Bestattung.
Da findet die liebe Seele keine Ruhe.
Der Ort der Ruhe muss bewusst geschaffen werden, denn es gibt in den oben genannten Fällen nur sehr selten einen Körper, der beigesetzt werden kann.
An dieser Stelle will ich unbedingt auf §31 Personenstandsverordnung hinweisen.
Durch diese Möglichkeit können Kinder, die sehr früh gingen, oder die in der Vergangenheit nicht als Mensch gezählt wurden, heute noch (oder endlich?!) anerkannt werden.
Ich finde diese Bescheinigung für Betroffene sehr wichtig, um ihre Trauerarbeit aktiv zu gestalten – vor allem dann, wenn sich die Frage nach der Bestattung nicht stellt.
Ein amtliches Dokument kann auch nach vielen Jahren dazu führen, dass der Trauerprozess wiederaufgenommen und fortgeführt werden kann.
Alles, was es braucht, ist eine Bescheinigung der Klinik oder des Frauenarztes, der Frauenärztin.
Einzelgrab. Sammelgrab. Stellvertretergrab.
Ich persönlich brauche keine Grabstätte, um zu trauern.
Mein Ort der Trauer ist in meinem Herzen und das habe ich immer mit dabei.
Wenn ich traurig bin, weil Loreley nicht körperlich bei uns ist, dann kann ich überall traurig sein. Das macht es einfach.
Gleichwohl habe ich mir über die Vor- und Nachteile Gedanken gemacht, denn Loreleys Körper musste beigesetzt werden.
Auf dem Friedhof erkannte ich schnell die Vorteile eines Einzelgrabs.
Nicht umsonst kam der Gedanke „Friedhof der Kuscheltiere“, denn die Gräber waren individuell gestaltet.
Vom Grabstein über die Bepflanzung bis hin zur Deko.
Sehr persönliche Orte des Gedenkens, die mit niemandem geteilt werden müssen.
So entsteht eine greifbare und sichtbar gemachte Erinnerung, denn viele andere Andenken gibt es meist nicht.
Die Grabpflege kann ein sehr wichtiger Bestandteil der Trauerarbeit und -routine sein, für die gerne die Kosten und der damit verbunden Pflegeaufwand in Kauf genommen werden.
Für mich ist das nichts.
Deshalb entschieden wir uns für das Sammelgrab.
Keine Kosten.
Keine Entscheidungen.
Keine Verantwortung.
Ich musste mit niemandem reden und hatte ein Gefühl von „sie ist nicht allein“.
Das diese Anonymität und das Gefühl von Distanz nicht für jeden etwas ist, verstehe ich.
Auch eine individuelle Gestaltung und die Beisetzung als solche kann nicht beeinflusst werden.
Die Beisetzung kann für den Trauerprozess durchaus entscheidend sein.
Ich habe sie in meinem Buch Priorität Nr. 1 nach der stillen Geburt* ausführlich beschrieben.

Einerseits, weil sie für mich magisch war, andererseits weil es aus meiner Sicht für Betroffene möglich ist, eine Trauerfeier bzw. eine Stellvertreterbeisetzung nachzuholen.
Von einer Stellvertreterbeisetzung spreche ich, wenn die Eltern selbst nicht an der Beisetzung beteiligt sind und/oder wenn das Kind selbst nicht physische beigesetzt wird.
Gerade bei frühen Verlusten gibt es oft keinen greifbaren Körper und doch wird der Verlust durch die Zeremonie begreifbarer.
Einer Stellvertreterbeisetzung wird für mich vor allem durch selbst erschaffene Rituale individuell.
Ich habe beispielsweise zusätzlich zur Beisetzung meinem Kind einen Brief geschrieben.
Aber auch kleine Schmuckstücke (z.B. das Sternenband), ein Schmetterlingsstrauch im Garten und ein Seelenbild stellen physische Orte für meine Erinnerung dar.

Das Schöne an einer Stellvertreterbeisetzung ist aus meiner Sicht, dass es für sie nie zu spät ist.
Auch ohne Grab kann so Trost gefunden und ein Ort der Trauer kreiert werden.
Mein persönlicher Weg
Gleich vorweg: Jetzt wird es spiritueller.
Als ich mich von Loreley im Krankenhaus verabschiedet habe, habe ich durch ein schamanisches Ritual ihre Seele aus ihrem Körper gelassen.
Nur ihr Körper blieb.
Ich verabredete mich mit ihrer Seele und sagte ihr, dass ich sie bei der Beerdigung abholen werde.
Ich bat sie darum zu mir zurückzukommen oder mir eine Seele zu senden, die in einem gesunden Körper in mir wachsen würde.
Später stellte sich heraus, dass Loreleys Beisetzung auf den Tag ihrer errechneten Geburt fiel.

Wiedergeburt.
Leben und Tod.
Tod und Leben.
Es liegt doch so dicht beieinander.
Deshalb brauche ich keinen Ort wie einen Friedhof.
Dort ist nur die Asche ihres Körpers.
Ihre Seele, also das was einen Menschen auch ausmacht, ist nicht dort.
Ihre Seele ist überall.
Mal erscheint sie als Schmetterling.
Mal als Taube.
Mal als Windhauch.
Ein Einzelgrab würde mich anbinden.
Ein Sammelgrab habe ich gewählt, weil ich wählen musste.
Hätte ich „gar kein Grab“ wählen können, hätte ich es getan.
Ich brauche diesen Ort auf dem Friedhof nicht.
Er ist mir zu unflexibel.
Schmetterling, Taube und Wind habe ich überall.
Und du?
Vielleicht hast du eine neue Perspektive bekommen.
Ich freue mich auf deine. Schreib sie mir in die Kommentare oder noch besser: Schreib sie auf und schicke deinen Blickwinkel an Tanja.