Die ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft – die sogenannte Frühschwangerschaft – sind für viele Frauen eine Zeit voller Fragen, Ängste und Entscheidungen.
Eine davon: Sprechen oder schweigen?
Diese Frage stellte ich mir auch – vor allem nach meinen Verlusten in der Frühschwangerschaft und nach der stillen Geburt von Loreley hing ich zwischen Freude und Unsicherheit.
Und auch Tanja Wirnitzer (sternenkinder.org) wollte auf die Frage gerne eine Antwort von mir.
Ich habe sowohl als auch ausprobiert.
Doch bevor ich meine Perspektive mit dir teile, hole ich dich zu den Blickwinkeln ab.
Kleiner Exkurs zur Blickwinkelreihe
Worum geht es bei der Reihe Blickwinkel? Auf ein und dieselbe Frage, in derselben Situation, gibt es unterschiedlichste Antworten. Auch wenn sich Sterneneltern in ähnlichen Lebensumständen befinden und sie ihre Sternenkinder aus dem gleichen Grund, vielleicht sogar in der gleichen Schwangerschaftswoche verabschiedet haben: Alle machen ihre ganz eigenen Erfahrungen.
So sind die Blickwinkelartikel entstanden: Tanja Wirnitzer hat über das Thema Sternenkinder viele Eltern kennengelernt und gemerkt, so sehr sie mit vielen auf einer Wellenlänge ist, so unterschiedlich ist doch die Art und Weise, wie die Paare mit der Situation umgehen. Sie wollte mehr erfahren und die Idee der Blickwinkelartikel war geboren.
Tanja Wirnitzer lädt alle dazu ein, die eigenen Blickwinkel zu teilen. Auf www.sternenkinder.org/Blickwinkel finden sich die Themen und an tanja@sternenkinder.org sendest du deinen Beitrag. Auch Ideen für neue Blickwinkelfragen sind jederzeit herzlich willkommen.
Hinweis: Als Service für dich habe ich im Beitrag Produkte oder Dienstleistungen verlinkt. Affiliate-Links sind mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet. Ich erhalte bei deinem Einkauf eine Provision, ohne dass du mehr zahlst.
Schwanger, aber nicht der Rede wert
Viele Frauen erleben die Frühschwangerschaft als Zeit voller Unsicherheit.
Zwischen Freude und Angst entscheiden sich viele, die Schwangerschaft zunächst geheim zu halten.
In meiner ersten Frühschwangerschaft entschied auch ich mich dafür, niemandem davon zu erzählen. Ich sprach nur mit meinem Mann und einer sehr guten Freundin, weil ich mit dem positiven Test schwer überfordert war.
Gerade während der Frühschwangerschaft können Fragen und äußere Erwartungen überfordern – deshalb halten viele ihre Schwangerschaft zunächst geheim.
Schon bei der Vorstellung, ich würde von meiner Frühschwangerschaft erzählen, rechnete ich mit neugierigen Fragen – zu Alter, Beruf, Partnerschaft. Und überhaupt, in diese Gesellschaft ein Kind in die Welt setzen?! Allein bei der Vorstellung, dass diese Fragen auf mich einprasseln könnte, fühle ich mich überfordert.
Besonders in der Frühschwangerschaft – den ersten 12 Wochen – ist das Risiko einer Fehlgeburt erhöht. Immerhin gelten die ersten drei Monate als „kritische Phase“, die Verlustrisiken sind erhöht – bei mir als Spätgebärende noch mal mehr. Diese Angst ließ mich meine Schwangerschaft ebenfalls geheim halten.
Nach dem Verlust in der Frühschwangerschaft wurde es dann allerdings besonders schwer. Die Hürde, mit anderen über meine Traurigkeit zusprechen, war extrem hoch.
Wenn wir unser Glück nicht teilen, sind wir im Verlust allein.
– Marion Glück über Frühschwangerschaft & Schweigen
Meine Gedanken kreisten: Wie kann ich von einem Verlust erzählen, wenn niemand von der Frühschwangerschaft wusste? Ich hätte nicht nur den Verlust, sondern möglicherweise auch erklären müssen, weshalb ich nichts von meiner Schwangerschaft erzählt habe.
Aus Angst vor Verlust hatte ich mich für das bewusste Schweigen entschieden – ein Schutzmechanismus, der mich jedoch isolierte.
Ab dem nächsten Mal war ich „all in“ und habe offen über meine Schwangerschaften gesprochen.
Hallo?! Eine Schwangerschaft!
Das ist doch großartig!
Zumindest, wenn ich sie mir gewünscht habe.
Durch Loreley wurde mir bewusst, dass immer etwas passieren kann.
Vor der Geburt.
Unter der Geburt.
Nach der Geburt – auch Jahre später.
Gehen wir danach, wie fragil die Frühschwangerschaft sein kann, dürften wir unser Glück nie teilen – und wären im Verlustfall allein.
Glück ist jedoch immer vergänglich – nicht nur in der Frühschwangerschaft. Doch heißt das, wir sollten es lieber gar nicht erst teilen?
Schließlich verdoppelt sich doch Glück, wenn wir es teilen, richtig?
Fazit: Wenn wir unser Glück nicht teilen, dann sind wir im Falle des Verlustes möglicherweise ganz schön allein.
Frühschwangerschaft und Gesellschaft: Warum das Schweigen überwiegt.
Interessant ist es, dass wir über eine neue Arbeit oder eine neue Partnerschaft sehr wohl sprechen, obwohl auch hier auf der Hand liegt, dass etwas schiefgehen könnte.
Warum also in der Frühschwangerschaft schweigen – wenn wir sonst über vieles reden?
Das Problem ist aus meiner Sicht, dass der Tod – und somit auch Todgeburt, Fehlgeburt und stille Geburt – in unserer Gesellschaft noch immer zu den Tabuthemen gehört.
Über den Tod sprechen die Menschen genauso ungern wie über Geld.
Nur die wenigsten Menschen wollen mit dem Thema „Tod“ konfrontiert werden.
Immerhin ist es immer die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit.
Das leite ich aus den Reaktionen von Redaktionen ab, die ich bzgl. meiner Situation angeschrieben habe.
Innere Konflikte in der Frühschwangerschaft
Dass in der Schwangerschaft etwas schiefgeht, betrifft primär nur uns Frauen.
Gerade nach einem Verlust in der Frühschwangerschaft oder einer späteren stillen Geburt fühlen sich viele Frauen schuldig – obwohl es keinen rationalen Grund dafür gibt.
Das Gefühl versagt zu haben, wenn die Schwangerschaft nicht bleibt, kann sich breit machen.
Die Gedanken nicht „gut genug“ oder „keine vollwertige Frau“ zu sein, könnte sich anschließen.
Doch woher kommt dieses Gefühl und diese Gedanken?
In meinem Buch Priorität Nr. 1 nach der stillen Geburt* habe ich meine Gedanken bereits geteilt:
„Als ich meiner kleinen Nichte beim Spielen zusah, erkannte ich, dass wir Mädchen und Frauen bereits in den Kinderschuhen zur ‚Mama‘ werden, uns um unser ‚Baby‘ kümmern und vom Umfeld dafür mit positivem Feedback belohnt werden. Mit nicht mal 2 Jahren schob meine Nichte ihr Baby spazieren und wenn sie nicht mehr laufen wollte, wurde sie in ihre Karre gesetzt. Verrückte Puppenmama-Realität und weil es so süß ist, freuen sich alle. Möglicherweise spielen Situationen wie diese eine weit größere Rolle, als wir denken. Es ist gesellschaftlich normal oder vielleicht auch die Erwartungshaltung, dass eine Frau ein Kind bekommt. Das kann die ein oder andere Frau massiv unter Druck setzen und im Falle eines Kindsverlustes für Minderwertigkeitsgefühle sorgen. Dessen müssen wir uns bewusst werden.“
Frühschwangerschaft teilen oder geheim halten?
Wenn ich in der Frühschwangerschaft schweige, um mich zu schützen, dann isoliere ich mich und grenze die anderen gleichzeitig aus.
Wenn ich rede, dann können sich die anderen mit mir freuen.
Doch bei einem Verlust werden sie dann auch mit anderen Gefühlen konfrontiert – und mit dem Tod.
Nach dem ersten Verlust in der Frühschwangerschaft, ging ich „all in“ – auch auf die Gefahr hin, mich später mit dem Thema Verlust auseinandersetzen zu müssen.
Ab dem Moment, in dem ich von meiner Schwangerschaft wusste, habe ich darüber gesprochen – weil ich meinem Baby all meine Liebe, meine guten Gedanken und meine Zuversicht mitgeben wollte. Damit es sich sicher und willkommen fühlt.
Am Ende gibt es jedoch kein „richtig“ und kein „falsch“.
Ob ich in den ersten 12 Wochen über meine Schwangerschaft spreche oder nicht, ist eine höchstpersönliche Entscheidung – und durchaus auch eine egoistische.
Das Motto: „Mein Leben. Meine Regeln. Meine Entscheidung.“ gilt auch hier.
Ebenfalls eine egoistische Entscheidung: Die Antwort auf die Frage „Will ich Kinder haben?“.
Meine Gedanken zu dem Thema kannst du im Blogartikel Team Abtreibung? Team Kinder? Oder vielleicht Team Selbstbestimmung? nachlesen.
Und im Falle eines Verlustes?
Ich habe nach den Verlusten in der Frühschwangerschaft und nach der stillen Geburt von Loreley geredet und geschrieben – denn jedes gesprochene Wort nimmt dem Schweigen Macht – und gibt anderen Mut.
Ob und wann eine Frau über ihre Frühschwangerschaft und den möglichen Verlust spricht, bleibt ihre Entscheidung. Doch je offener wir werden, desto mehr enttabuisieren wir das Thema Fehlgeburt und Schwangerschaftsverlust.
Der Verlust eines Kindes und der Tod werden nur so immer präsenter in unserer Gesellschaft und irgendwann genauso etabliert, wie Arbeitslosigkeit, Homosexualität oder AIDS.
Ob Reden oder Schweigen – in der Frühschwangerschaft ist jede Entscheidung richtig, solange sie sich für dich richtig anfühlt.
Marion Glück
Und du?
Vielleicht hast du eine neue Perspektive bekommen.
Wie beantwortest du die Frage?
Schreib mir deine Meinung in die Kommentare oder wenn du einen Blog und/oder Bock hast: Schreib einen eigenen Blickwinkelartikel auf und schicke den Link an Tanja von sternenkinder.org.